



Schon eine ganze Weile suche ich nach einem einigermassen gut erhaltenen Biotar mit M42 Anschluss, welches sich entsprechend gut adaptieren lässt. Schliesslich bin ich in einem nicht näher genannten Broki fündig, wo ich das gute Teil für nur gerade mal 10 Franken erwerben konnte. Das Biotar ist eine Entwicklung von Willy Merté in den 1920er Jahren bei Zeiss. Dem Zeiss-Ingenieur war die Aufgabe zugetragen, ein lichtstarkes Objektiv für Kleinbildkameras zu entwickeln. Merté griff dazu auf das Prinzip des doppelgauss Objektivs zurück, wie dieses Ende des 19. Jh. von Paul Rudolph, ebenfalls für Zeiss, entwickelt wurde und als Planar-Design in die Geschichte einging. Da es aber zu Streitigkeiten zwischen Rudolph und der Firma Zeiss kam, wollte man sich bei Zeiss mit der Umbenennung auf Biotar wohl von der Vergangenheit lösen. Für spätere Entwicklungen nach dem Doppelgauss-Prinzip nutze Zeiss schliesslich wieder den Namen Planar, so dass bis in die jüngste Zeit Planare auf dem Markt erhältlich sind, welche im Design sehr stark dem Biotar ähneln. Ich selber nutze gerne das Carl Zeiss Planar 50 mm f/1.7 (Contax/Yashica) welches in den 1980er Jahren durch Kyocera für Zeiss gefertigt wurde.
Eine andere Besonderheit des Biotars ist, das es sich wohl als eines der am meisten kopierten Objektiv-Designs rühmen kann. So wurden nach dem 2. Weltkrieg bis 1999 in der ehemaligen UdSSR x-tausendfach Kopien des Biotars unter dem Namen Helios 44 hergestellt und im Bundle mit Kameras von Zenith und anderen Herstellern vertrieben. Ich selber besitze ein MMZ Helios 44-2 58 mm f/2.0 von der Mechanical Factory (MMZ, heute BelOMO) mit Jahrgang 1972.
Gemäss Recherchen im Internet wurde mein Biotar mit der Serie Nr. 3477114 im Jahr 1952 von Carl Zeiss in Jena (DDR) gefertigt. Es hat also zwischenzeitlich schon über 70 Jahre auf dem Buckel. Auch die typischen Blasen (Gaseinschlüsse) in den Linsen aufgrund der damals noch nicht so hochstehenden Glasproduktion sind vorhanden. Das Glas stammt übrigens von Firma Schott. Während der Fertigung meines Biotars im Jahr 1952 waren allerdings sowohl die Zeiss- wie auch die Schottwerke zweigeteilt. In der DDR gab es die VEB Carl Zeiss in Jena und die VEB Jeaner Glaswerke Schott & Genossen. In Westdeutschland bauten nach dem 2. Weltkrieg aus dem Osten emigrierte Arbeiter die beiden Firmen Carl Zeiss AG in Oberkochen und die Schott Glaswerke in Mainz auf. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurden die Werke zu Beginn der 1990er Jahren wieder zusammengeführt und sind heute als Carl Zeiss AG in Oberkochen und Schott AG in Mainz eigenständige Stiftungsunternehmen, deren alleinige Aktionärin die Carl Zeiss Stiftung ist.
Aber zurück zum Biotar, meine Version von 1952 verfügt über 12 Blendenlamellen, welche frei von jeglichen Ölspuren sind. Die Blende lässt sich entsprechend stufenlos und mit einem feinen Widerstand sehr smooth bedienen. Der Bereich der stufenlosen Blendeneinstellung kann mit einer Blendenvorwahl, ausgehende von der kleinsten Blende, eingeschränkt werden (Ring, der sich durch Drücken justieren lässt). Auch dieser Mechanismus funktioniert bei meinem Exemplar noch einwandfrei. Die gesamte Fokussierung ist da allerdings schon wesentlich hackliger und teils nur mit erheblichem Kraftaufwand zu betätigen, was auf die typischen, inzwischen ausgetrockneten Fettreste in den Gewinden zurückzuführen sein dürfte. Aber bei dem Preis kann man ja nicht meckern. Schliesslich ist das Objektiv optisch in einem einwandfreien Zustand frei von Staub und Fungus. Ich könnte natürlich eine Spezialwerkstätte suchen, welche mir das Biotar revidiert, allerdings dürfte das einiges kosten und dazu wiederum gebrauche ich das Teil wahrscheinlich zu wenig. Also bleibt es derzeit in meiner Sammlung in der Hoffnung, es möglichst auf dem aktuellen Stand zu konservieren.


Technische Daten:
Hersteller: Carl Zeiss Jena
Baujahr: 1952
Serienummer: 3477114
Brennweite: 58 mm
Lichtstärke: 1:2.0
Konstruktion: 6 Linsenelemente in 4 Gruppen
Blende: f/2.0 bis f/22
Blendenlamellen: 12
Naheinstellgrenze: 0.5 m
Anschluss: M42 Schraubanschluss
Gewicht: 206 gr.
Adaptiert an meine Lumix S5 zeigt das Biotar offenblendig doch beachtliche Mängel in der Schärfeleistung in den Randbereichen. In der Bildmitte ist die Abbildungsleistung gar nicht mal so schlecht. Wird das Biotar abgeblendet, so ist spätestens ab Blende f/5.6 das Bild bis in die Ecken scharf.

f/2.0

f/2.8

f/4.0

f/5.6

f/8.0

f/11.0
Offenblendig sollte man also das Biotar nur nutzen, wenn man einen mittigen Bildaufbau hat. Entsprechendes Sujet vorausgesetzt, kann man mit dem Biotar Bildinhalte im Nahbereich wunderbar freistellen. Dabei erzeugt das Biotar mit seine 12 Blendenlamellen ein sehr stimmiges weiches Bokeh. Mehr zur Bokeh-Spezialität des Biotars weiter unten.

f/2.0

f/2.8

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f/8.0

f/11.0

f/2.0

f/2.8

f/4.0

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Mein Biotar aus dem Jahr 1952 verfügt bereits über ein T-Vergütung. Dennoch muss beim Fotografieren im Gegenlicht mit starken Linsenreflektionen (Lense-Flares) gerechnet werden. Bei den Aufnahmen unten wurde keine Sonnenblende verwendet und die unmittelbare Sonneneinstrahlung zeigt, welche Reflexionen entstehen. Allerdings kann man diesen Effekt natürlich auch bewusst als Gestaltungsmittel einsetzen.

f/2.0

f/2.8

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f/11.0
Das Biotar und auch seine Helios Kopien aus der ehemaligen UdSSR sind bekannt für ihr Swirly-Bokeh. Dabei handelt es sich im Prinzip um einen optischen Fehler, der richtig angewandt, zu einer Art spiralförmigem Bokeh führt. Dabei entsteht der Effekt durch die unförmigen bzw. elliptischen "Bokehkreise" (Katzenaugen) sich konzentrisch im Bild anordnen und dadurch das spiralförmige Bokeh bilden. Dies bedingt allerdings eines entsprechenden Hintergrunds und einem geeigneten Abstandsverhältnis zwischen der Schärfeebene (Bildinhalt im Nahbereich) und dem Hintergrund. Dazu ist etwas Experimentieren angesagt.




Nachfolgend ein paar Aufnahmen, welche mit Offenblende f/2.0 entstanden sind:






Nachfolgend ein paar Aufnahmen welche bei Blende f/8.0 entstanden sind:





